„Machen Sie mal unsere Teams besser!“

Eine Untersuchung zur Prozessverbesserung.

Wann immer mich ein angehender Kunde dazu einlädt, seine „Teams zu verbessern“, beginne ich im Gespräch Hindernisse herauszuarbeiten und Prozesse zu hinterfragen. Manche Auftraggeber zeigen sich dann irritiert und bestehen darauf, man müsse es „erstmal den Leuten richtig beibringen“, die Prozesse seien halt wie sie sind, und eine Optimierung dort käme später in Frage – wenn überhaupt.

Man könnte hier vortrefflich über die Frage des Menschenbildes diskutieren, sich über Auftragsklärung auseinander setzen oder detailliert herausarbeiten, was „verbessern“ in dem Fall eigentlich genau bedeutet. Darum soll es aber in diesem Artikel nicht gehen. Ich will mich auf die Frage konzentrieren, wie sich unterschiedliche Prozessqualität im Vergleich zu unterschiedlicher individueller Qualität verhält.

Ich habe dazu kürzlich die Ergebnisse des Name Game genauer untersucht, einer Übung, die ich in den letzten Jahren in meinen agilen Trainings eingesetzt habe. Es handelt sich um eine Variante von Henrik Knibergs ‚Multitasking Name Game‘. In drei Runden mit zunehmend mehr Hindernissen schreiben die Teilnehmer einfache Wörter auf, und ich messe dabei die unterschiedliche Geschwindigkeit der Fertigstellung des jeweils schnellsten und langsamsten Teilnehmers.

Die verschiedenen Runden mit ihren Hindernissen dienten für meine Untersuchung als Referenz für unterschiedliche Prozessqualität, während ich die verschiedenen Geschwindigkeiten der Teilnehmer in jeder Runde als Referenz für die unterschiedliche individuelle Qualität betrachtet habe. In beiden Fällen habe galten schnellere Ergebnisse als „besser“.* Ganz im ursprünglichen Sinne der Übung entspricht Multitasking also einem „schlechten“ Prozess, weil dadurch langsamere Ergebnisse erzielt werden.

Fakten und Messen

Die Auswertung basiert auf den Ergebnissen von mehr als 50 Ausführungen dieser Übung, wovon die kleinste Gruppe 5 Teilnehmer enthielt und die größte Gruppe 18. In allen Fällen hatten die Teilnehmer in Runde 1 die besten Ergebnisse und in Runde 3 die schlechtesten. Ganz einfach deshalb, weil Ihnen während der Runden zunehmend Hindernisse aufgebürdet wurden, die trotz ggf. einsetzendem Lerneffekt immer zu schlechteren Ergebnissen in Runde 2 und 3 geführt haben. In keinem einzigen Fall waren die Ergebnisse von Runde 3 zufällig oder durch Ausreißer besser als in Runde 2, oder in Runde 2 besser als in Runde 1. Gemessen wurde die Zeit in Sekunden.

Da die aufzuschreibenden Wörter für jede Gruppe anders waren, und damit auch unterschiedlich lang, sind Vergleiche der absoluten Werte nur innerhalb einer Gruppe gültig. Um Vergleichbarkeit herzustellen habe ich die verschiedenen Ergebnisse innerhalb jeder Gruppe ins Verhältnis zueinander gesetzt, und auf der Basis dieser prozentualen Werte Auswertungen über alle Gruppen hinweg durchgeführt.

Ausreißer und Randwerte

Obwohl die Untersuchung auf über 50 Gruppen basiert und dadurch insgesamt fast 600 Personen teilgenommen haben, stellen sich die Ergebnisse erstaunlich homogen dar. Im Bereich der Prozessqualität gibt es überhaupt keine Ausreißer, sondern ein konzentriertes Feld. Bei der individuellen Qualität, also in der Schreibgeschwindigkeit der Teilnehmer zeigt sich eine gewisse Streuung mit einem einzelnen Extremwert. In Runde 3 mit dem „schlechten“ Prozess war ein Teilnehmer in einer Gruppe 2,3-mal so schnell fertig wie der langsamste Vertreter der Gruppe
(Abb. 1: Achse „Individual Quality – bad process“). In Runde 1 mit dem „guten“ Prozess lag dieser Extremwert bei fast dem 3,7-fachen des langsamsten Teilnehmers (Abb. 2: Achse „Individual Quality – good process“).

Da beide Werte aus derselben Gruppe stammen, gehe ich hier von einem Sonderfall aus, den ich nicht weiter berücksichtige. Dennoch zeigen diese Werte dieselbe Tendenz auf, wie auch die Randbereiche der Feldverteilung. In Runde 1 ohne Hindernisse liegen die homogensten Gruppen, also die mit dem geringsten Unterschied zwischen dem schnellsten und langsamsten individuellen Ergebnis bei dem 1,3 fachen, während die größten Unterschiede zwischen dem 2,4-2,8-fachen liegen. In Runde 3 mit maximalen Hindernissen liegen die Randbereiche mit dem 1,2 fachen und 1,7-fachen deutlich näher bei einander. Im Durchschnitt sind die schnellsten Teilnehmer in Runde 1 etwa 1,8-mal schneller als ihre langsamsten „Kollegen“. In Runde 3 sind sie im Mittel immerhin noch 1,4-mal schneller.

Prozessqualität beeinflusst die individuelle Qualität

Als erste wichtige Erkenntnis lässt sich aus allen Wertebereichen – den Extremwerten, den Randbereichen und dem Durchschnitt – ableiten, dass der Unterschied der individuellen Qualität bei schlechterer Prozessqualität abnimmt. Anders gesprochen: Schlechte Prozesse ruinieren den Vorteil der individuellen Qualität. Wenn Unternehmen also „nur die Besten“ einstellen, ihre internen Prozesse aber nicht hinterfragen und anpassen, vergeuden Sie die Fähigkeiten der mitunter teuer eingekauften Experten. Steve Jobs hat dazu angeblich mal gesagt: „Es macht keinen Sinn, kluge Köpfe einzustellen und ihnen dann zu sagen, was sie zu tun haben. Wir stellen kluge Köpfe ein, damit sie uns sagen, was wir tun können.“

Eben. Abgesehen von der Kreativität und Motivation, die wir damit bei den Betroffenen aufs Spiel setzen, ist es auch rein betriebswirtschaftlicher Unfug. Wie, mit einem Sportwagen im Stau zu stehen. Vielleicht schön, aber nutzlos.

Potential der Prozessoptimierung

Kommen wir zurück zu meiner Auswertung und damit zum zentralen Teil der Untersuchung. Der Vergleich zwischen Prozessqualität und individueller Qualität. Wir haben bereits gesehen, dass sich die individuelle Qualität durchschnittlich um das 1,4 bis 1,8-fache unterscheiden kann, in besonders ausgeprägten Fällen um das 1,7 bis 2,8-fache, je nach umgebendem Prozess.

Wenn wir nun die Ergebnisse der unterschiedlichen Prozesse miteinander ins Verhältnis setzen, ergibt sich ein anderes Bild. Wie schon bei der Untersuchung der Randwerte erwähnt, gibt es bei den Vergleichen der Prozessqualität ein homogenes Feld ohne Ausreißer. Die Ergebnisse der jeweils langsamsten Teilnehmer aus Runde 1 (unserem besten Prozess) liegen um mindestens das 2,5-fache höher als in Runde 3 (dem schlechtesten Prozess), und markieren damit den unteren Rand der Feldverteilung. Den oberen Rand bildet eine Reihe von Werten um 5,2. Einige der langsamsten Teilnehmer waren also in der Lage, im besten Prozessumfeld um mehr als das 5-fache schneller zu sein, als im schlechten Prozess. Im Durchschnitt liegen sie beim 3,6-fachen.

Blicken wir auf diejenigen, die ohnehin schon schneller sind, stellen wir zwischen dem schlechtesten und dem besten Prozess Unterschiede vom 3-fachen bis hin zum 6,4-fachen (Ausreißer 8,6-fach) fest. Nur durch Änderung des Prozesses! Es gab keine Tipps, keine Trainings oder sonstige Verbesserungshilfen bei der individuellen Qualität.

Wir stellen also fest, dass eine Optimierung des Prozesses für die langsamsten Teilnehmer die 2,5 bis 5,2-fache Geschwindigkeit bringt, während die schnellsten Teilnehmer ihre langsamsten Kollegen innerhalb des gleichen Prozesses im Idealfall lediglich um das 1,2 bis 2,8-fache übertreffen können.

Potential der „richtigen“ Leute

Bringt es uns demnach also nichts, nach den „richtigen“ Leuten zu suchen? Doch, natürlich. Wenn wir nun die Optimierung der Prozessqualität mir der individuellen Qualität kombinieren, werden die Werte nochmal beeindruckender. Vergleichen wir die Ergebnisse der jeweils schnellsten Teilnehmer im besten Prozess mit denen der langsamsten im schlechtesten Prozess, liegen die Unterschiede beim 4,3 bis über dem 10-fachen. (Abb. 4)

Optimieren wir also sowohl Prozess als auch indiviuelle Qualität so weit wir können, mit den Leuten die wir haben, kommen wir auf ziemlich beeindruckende Werte. Da wirkt der Titel von Jeff Sutherlands Buch „The Art of Doing Twice the Work in Half the Time“ gar nicht mehr so abwegig.

Schlagen wir einen Bogen zur echten Arbeitswelt, sollten wir einen weiteren wichtigen Aspekt nicht vergessen. Setzen wir Steve Jobs‘ „kluge Köpfe“ in einem richtig guten Prozess in Teams mit Kollegen, denen wir nicht so viel zutrauen, stehen die Chancen gut, dass der Unterschied der individuellen Qualität nach und nach durch Knowhow-Transfer abnimmt. Die guten Leuten fördern also das Potential Anderer.

Ein wenig Realismus

Wenn wir davon ausgehen, dass wir es im ersten Anlauf der Prozessoptimierung nicht direkt bis zum Optimum schaffen, sollten wir noch einen Blick auf die Unterschiede von Runde 3 zu Runde 2 werfen. Hier stellt sich das Feld noch enger zusammengedrängt dar, als im Vergleich mit Runde 1. Die untere Feldgrenze liegt beim 1,1-fachen, die obere Grenze beim 2-fachen, der Durchschnitt bei 1,4 (Abb. 3)

Im Vergleich mit dem untersuchten Potential der individuellen Qualitätsoptimierung lässt sich jedoch feststellen, dass wir bereits mit wenigen Prozessverbesserungen etwa genauso viel erreichen können, wie wir an Unterschied zwischen „guten“ und „schlechten“ Leuten optimieren zu können glauben.

Selbst bei diesem „Gleichstand“ würde ich mich auch aus einem anderen Grund im Zweifel immer zuerst auf die Prozessoptimierung konzentrieren, statt mögliche Qualitätsunterschiede von Mitarbeitern herauszustellen und Fördermaßnahmen zu befürworten. Denn wie sieht denn die Optimierung der individuellen Qualität aus? Im Arbeitskontext läuft es darauf hinaus, Mitarbeiter zu bewerten und Verbesserung ihrer Fähigkeiten zu empfehlen. Das transportiert leicht die Aussage eines persönlichen Defizits, und kann somit schnell demotivierend und damit kontraproduktiv sein. Prozesse dagegen sind ein virtuelles Gut. Deren Optimierung niemanden persönlich angreift oder in Frage stellt. Ggf. wird mit der Optimierung eines Prozesses das Arbeitsergebnis seines geistigen Schöpfers kritisiert, jedoch nicht er als Person.

Fazit

Was bleibt also als Erkenntnis? Überraschend klar zeigt sich, dass bereits rein nach gemessenen Werten eine Optimierung von Prozessqualität einen deutlichen stärker positiven Effekt hat, als die Optimierung individueller Qualität.

Hinzu kommt die Einsicht, dass gute Leute in guten Prozessen deutlich stärker hervortreten, und wir annehmen, dass diese dann die anderen mitziehen. Berücksichtigen wir abschließend noch die Demotivatoren, die mit dem Herausstellen persönlicher Qualitätsunterschiede einhergehen, steht die Prozessoptimierung als Mittel der Wahl zur Verbesserung von Teams meilenweit vorn.